Die (radikale) Linke ist seit langem in einer tiefen, tiefen Krise. Jedes Mal wenn dieser Satz ausgesprochen wird ist es gleich noch viel schlimmer. Wir sind perspektivlos, konzeptlos und suchen den Lichtschalter ohne zu wissen, ob wir überhaupt ans Netz angeschlossen sind. Das allseits beliebte “revolutionäre Subjekt” die Arbeiter_Innenklasse – ist irgendwie nicht auszumachen, hat sich vereinzelt, gespalten, angepasst. Also suchen wir uns ein anderes revSu: vll. die AntiAKWBewegung, Frauenrechtsbewegung, Studis und Schüler, Präkarisierte – funzt alles irgendwie nicht. Es bewegt sich nichts – wo ist unsere Power? Statt aber konsequent zu überlegen wo die Ursachen unseres Scheiterns liegen und logische Schritte zu ergreifen, wie wir denn eine revolutionäre Perspektive schaffen können, beobachte ich zunehmend ist eine Entkopplung von der Wirklichkeit. Jetzt kommt der Teil bei dem sich einige Menschen auf den Schlips getretten fühlen werden – verständlich, denn ich kritisiere ihre/unsere politische Praxis. Ich will aber betonen, dass ich keinem Teilgebiet von linker Gesellschaftskritik die Wichtigkeit oder Berechtigung absprechen will. Im Kern treffen alle den selben Punkt. Nur ist dafür manchmal enorme Gedankenakrobatik notwendig. Kurz, knapp und provokativ gesagt: Die (radikale) Linke in diesem Land beschränkt sich auf bourgeoise Luxusprobleme und ist damit längst Teil eines Reformismus, der wiederrum fester Bestandteil des kapitalistischen Verwertungslogik ist. Beispiele: weltweit leben mehr als 1 Milliarde Menschen in aktuer Armut, zehntausende verrecken jeden Tag an verseuchtem Wasser, Mangelernährung, heilbaren Krankheiten oder werden in Konfliktgebieten abgeschlachtet – thematisieren wir das ernsthaft? Hat das Einfluss auf unseren Alltag? Ich glaube eher weniger. Oder wenn weltweit Millionen Mädchen und Frauen verfolgt, genitalverstümmelt, missbraucht oder sonst wie unterdrückt werden – arbeiten wir konkret dagegen? Wir sprechen über sexualisierte Sprache, über Mackerverhalten und wie mensch richtig gender muss. Dieser menschenverachtende Zynismus ist kaum zu ertragen. Wohlwissend, dass es Menschen gibt die nicht das zufällige Glück hatten, in die sogenannte erste Welt geboren zu werden, beschäftigen wir uns fast aussschließlich mit den Problemen der ersten Welt. Wir kämpfen für Mindestlohn statt die Tatsache zu problematisieren, weshalb der Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd so groß ist. Wir fordern bezahlbare Mieten statt Abschaffung des Privateigentums. Klar sind das alles wichtige Bereiche die angesprochen werden müssen. Das Problem ist aber das entwederoder, ganz einfach weil auch der Tag einer Zecke nur 24h hat. Also entweder die globale Scheisse auf den Tisch, oder das Lokale thematisieren. Natürlich lässt sich das Lokale besser vermitteln und daraus ergibt sich im besten Fall, dass die Menschen erkennen, welche globale Verantwortung sie tragen und daher den Kapitalismus kollektiv zu Grabe tragen. Die meisten arbeiten auf dieser Ebene – sind sie erfolgreich? Können die Inhalte ermittelt werden? Diese Frage muss jede und jeder für sich selbst beantworten.
Und was jetzt?
Aus meiner Sicht müssen wir es schaffen wieder einen proletarischen Interbzw. Antinationalismus zu etablieren, mit konkreter, praktischer Solidarität. Statt unsere Häuser und Projekte technisch zu modernisieren, warum nicht mal die Kohle verschickt, an ein konkretes Basisprojekt in Lateinamerika? Wer sich von der liebgewonnenen Kohle so schlecht trennen kann, der_dem bleibt wenigstens die Chance internationale Austauschprojekte zu organisieren. Netzwerke und Strukturen aufbauen – Menschen zu helfen, die wahrscheinlich in der Lage sind mehr zu reissen als wir momentan. Wir sind in der Lage mit überschaubarem Aufwand Kohle zu organieren, mit der Menschen ausserhalb von Deutschland einfach mal viel mehr anfangen können. Europa wird einfach mal nicht die Keimzelle der Revolution sein. Bei guter Selbstorganisation wäre es möglich global zu wirken und ebendas lokal zu propagieren. Das wären dann 2 Fliegen mit einer Klappe. Helfen und Bewusstsein schaffen.
Proletarier aller Länder…
Sowieso ist es ziemlich lächerlich wenn Genoss_Innen von Weltrevolution reden und sich dann “nur” gegen Nazis und Stadtsanierung engagieren. Wer macht den die große Revolution? Die Anderen? Die nicht genau bestimmbar sind, die weltweit anonym leben, kämpfen und sterben. Die machen das schon und wenn es soweit ist, springen wir einfach auf den rollenden Zug, denn durch unsere ständige Propaganda sind die Leute längst bereit ihr Leben von Grund auf zu ändern. Wir warten also das andere was reissen und bis dahin beschäftigen wir uns mit uns selbst – Das kanns nicht sein. Wir sollten unsere Kraft nicht in die Verbesserung unseres eigenen Lebens stecken (den unser Lebensstandard ist bereits jetzt pervers hoch) sondern die Menschen unterstützen die einfach mal nix haben. Wir müssen raus aus unserem liebgewonnenen sozialen Ghetto, in dem die Sonne scheint, aber sobald wir uns außerhalb dieser Struktur bewegen ist alles wieder scheisse. Zumal die Szene sich soweit abgrenzt und verschließt, dass ein “Reinkommen” für Außenstehende weder attraktiv noch einfach machbar ist.
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen Der Kampf muss also gegen Ausbeutung und Lohnarbeit gerichtet sein. Direkt dagegen und nicht gegen die vielen kleinen Bereiche in denen die Auswirkungen spür-und nachweisbar sind. Sollte das funktionieren, heisst das aber noch nicht, dass von den revolutionären Massen auch z.B. das bestehende Patriarchat zerschlagen wird. Dann müssen wir auf jeden Fall inhaltlich nachlegen. Aber die Nr. 1 auf der ToDoListe sollte doch ganz klar das kapitalistische Ausbeutungssystem sein. Denn: Wenn der fiese Kapitalismus erstmal weg ist, ergibt sich darauf (hoffentlich) die Möglichkeit die mit ihm verbundenen Unterdrückungsmechanismen gleichfalls zu eliminieren. Der Kapitalismus der ersten Welt kann im Zweifelsfall auch ohne Patriarchat, Überwachungsstaat oder Tierversuche. Andersrum siehts schon schwieriger aus. Daher die vielleicht naive Hoffnung, dass wenn wir unseren Kampf konkret auf das System von Ausbeutung, Eigentum und Lohnarbeit lenken statt in allen Teilbereichen nachzuweisen wie kapitalistisch diese durchsetzt sind eben diese Teilbereiche nicht mehr notwendig sind und daher absterben (wenn wir mehr oder weniger nachhelfen). Unsere aktuelle politische Theorie ist aber nicht vermittelbar. Wir gehen ins hunderste und tausendstel und sind dabei nicht mehr bei den Problemen der Menschen. Und selbst wenn wir mal den richtigen Punkttreffen, schreckt der coole Szenestyle ab. Wir erreichen also nichtmal die Menschen für die wir unter anderm kämpfen.
Blasphemie?
Aber selbst wenn wir weiter auf unserer lokalen Ebene weiter machen wollen gilt es hier umzudenken.
Wir müssen auf diesem Weg die Gradwanderung schaffen auf ein konkretes Ziel hin zu arbeiten und zwar auch mit Menschen die nicht so p.c. sind wie wir selbst ohne uns dadurch spalten zu lassen. Wir müssen raus aus unserem sektiererischen Szenedenken, denn damit machen wir uns selbst bedeutungslos. Wir müssen aufhören Leute “umerziehen” zu wollen, sondern eine Perspektive schaffen in der die Menschen selbst auf die Schlüsse kommen – das ist viel ehrlicher und tiefer, als bloßes nacheifern. Wenn z.B. ein Sexist nicht kapiert, warum Frauenverachtung zum Kotzen ist, müssen wir das vermitteln und ihn nicht einfach schwupsdiewubs auf alle Hausverbotslisten der Stadt zuschreiben. Denn ausserhalb der eigene Szene wirkt dieser Mensch ja trotzdem. Auch da gibt es Frauen (mensch mag es kaum glauben) die von solchen Wixxern belästigt werden – die sind uns scheinbar aber erstmal scheissegal solange sich in unserem sozialen Ghetto alle zu Antisexismus bekennen – verbal und nicht durch Taten wohlgemerkt. Das ist zutiefst verinnerlichtes Elitendenken…
Tante MiliGruppe
Anmerkung: Ich würde mir wünschen mit konkreter inhaltlicher Kritik überschüttet zu werden – auch mir ist bewusst, dass der vermittelte Standpunkt nicht widerspruchsfrei ist und zudem auch fern meiner politischen Praxis. Menschen die mir einfach nur verkürzte KapitalismusKritik, strukurellen Antisemitismus oder patriarchalles Denken vorwerfen bestätigen in meinen Augen lediglich meine Szenekritik. Ich subsummiere alles unter “uns” und “unsere” weil ich mich trotz all dem Mist und den inhaltlichen Differenzen mit dieser Bewegung identifiziere und weil ich denke, dass “wir” “es” gemeinsam schaffen können – was auch immer dieses “es” sein mag.